(english version below) Künstler/innen und ehrenamtlich Aktive beherbergen und betreuen in kleineren Kunstvereinen andere Künstler/innen. Neugierig, ‚committed‘, gewillt, sich selbst und ihrem Umfeld, ihrem Ort, die Begegnung mit besonderen Menschen und deren Ideen zu bescheren, die Realisation ihrer Ausstellungen zu ermöglichen – ein Ethos ist dabei die gute alte Gastfreundschaft.
Aufgrund der Begegnung von jeweiligen Mitgliedern entsteht zwischen den Kunstvereinen Oberwelt e.V. Stuttgart und Weil am Rhein die Idee eines örtlichen und personellen Austauschs.
Für Oberwelt haben solche Austausche eine langjährige Tradition, weil viele ihrer Gäste sich an ihren jeweiligen Herkunftsorten ebenfalls per Rollenwechsel für Gäste engagieren.
Weil am Rhein geht nun in Führung und lädt vier selbst auch künstlerisch aktive Oberwelt-Aktive ein, in seinen Räumen eine Ausstellung zu machen. Und diese vier Aktiven laden ihrerseits nach dem auch im Oberwelt-Alltag üblichen Anwaltsprinzip gleich noch jeweils eine/n liebgewonnene/n Künstler/in aus dem Oberweltprogramm ein, bringen sie mit zu einem Dialog oder einer gemeinsamen Präsenz in der gastgebenden Institution.
Das eigenwillige Profil der Stuttgarter Institution, deren kollektive Non-Profit-Tradition bis ins Jahr 1978 zurückgeht, reicht von bemerkenswerten Positionen zeitgenössischer Malerei bis zu Arbeiten in Grenzbereichen zwischen Kunst und gesellschaftlichem Engagement, aktuell repräsentiert von herausragenden, auch überregionalen Positionen.
Teilnehmende sind:
U!!i Berg – mit Martina Geiger-Gerlach
Dein Klub – mit D.N.K. FILOART
Matthias Müller – mit Katja Struif
Thomas Ulm – mit Henrik Reimes
U!!i Berg arbeitet im Bereich poetisches Objekt, Text, Zeichnung und Installation. Sie featured Martina Geiger-Gerlach, die mit multimedialen und interaktiven Kampagnen gesellschaftliche und politische Themen bearbeitet.
Dein Klub ist die zum öffentlichen montäglichen Treff ausgebaute Abstellkammer im Hinterhof von Oberwelt – und seit 23 Jahren Studio für lippensynchrone Nachdrehs monumentaler Hollywoodfilme mit der Einladung an die gesamte Weltbevölkerung, für die eine oder andere, oft nur sekundenlange Einstellung in jede anstehende Rolle zu schlüpfen – auch auf Tour in einer maßstabsgetreuen Kopie dieser Kammer.
Dein Klub lädt D.N.K. FILOART nach Weil am Rhein ein, eine international aktive Gruppe, die sich aktuell auf sinnlich-kritische Weise mit KI beschäftigt.
Matthias Müller arbeitet im Bereich experimenteller Film und bringt die Kölner Oberwelt-Künstlerin Katja Struif mit, die zu struktureller Gewalt recherchiert und diese zu Visualisierungen und Aktionen transformiert.
Thomas Ulm reflektiert in Installationen und Fotografien philosophische Aspekte von Alltagsphänomenen. Er bringt den Maler Henrik Reimes mit, der die Grenzzone zwischen gegenständlichem und gegenstandsfreiem Bereich auslotet.
Eröffnung am Freitag, 5. September, 19:00 Uhr
Besichtigung der Ausstellung bis 19. Oktober
Zu den einzelnen Teilnehmenden und gezeigten Werken:
Statement U!!i Berg
Es gab Zeiten, da mussten unartige Kinder in die Ecke stehen, mit dem Gesicht zur Wand, still und lange ausharren, oft gar knien, manche sogar auf einem Holzscheit. Nun liegts wohl sicher nicht an diesen Zeiten, dass Kinder als unartig betrachtet wurden und werden?
Wie groß ist der Schritt von Unart zu Abart? Oder wie gering? Wie groß oder gering das Verständnis, das Einfühlungsvermögen für „Rotznasen“, ungute Geister, arme Seelen, Nichtsnutze, Freigeister, Aufmüpfige … ?
Das Kirchenasyl, so hört man, sei auch nicht mehr sicher,
er ruckelt und wackelt und plumpst womöglich,
nein, nein, nicht der Messwein ist schuld,
vom Rechtsruck, recht staatlich, bedrohlich,
erinnert an einst, rund hundert Jahr ists her,
auch für Kunst, Wissenschaft und loses Mundwerk,
stellt sich die Frage, was wiegt und was wagen?
Darum bedarfs der Kunstvereine, nach wie vor!
Aktuell, nein, seit geraumer Zeit erstelle ich Refugien für solche unguten Geister und Co., von 2.30 m hoch bis 10 cm die kleinsten. Für Weil am Rhein plane ich eins zum reinschlupfen – auch für Gäste. Jede/r kann sich somit, ganz nach belieben in eine Rotznase oder einen Nichtsnutz versetzen, in die Seele eines unguten Geistes oder vielleicht …
Apropos Seele – laut Descartes sitzt die menschliche Seele in der Zirbeldrüse, diese erbsengroße, graugrüne Drüse befindet sich im Schädel hinter dem linken Ohr (ich dachte immer das sei ein Floh), nun denn, ich kenne niemanden der jemals eine Seele sah. Aber ich kenne auch niemanden der daran zweifelt, dass es sie gibt! Und dass es sie wirklich gibt, das beweisen meine „Seelenschwänzchen“, zu sehen in manchen meiner Refugien.
Martina Geiger-Gerlach
‚Gastspiel‘ / Videoinstallation / 2003 Acht Bewohnerinnen eines Wohnheims für obdachlose Frauen nehmen das bezahlte Jobangebot gerne an, sich als Zuschauerinnen zu inszenieren, um in Kunstausstellungen gesehen zu werden. Sie versuchen eine Stunde in das Objektiv einer fest installierten Kamera zu schauen, damit ihr Blick den später vis-à-vis sitzenden Film-Betrachtenden zu begegnen scheint. Die Künstlerin bezahlt die Teilnehmerinnen, verteilt Getränke und Popcorn, stellt die Kamera an und verläßt den Raum. Damit übernehmen die Frauen die Regie, und arbeiten wie und so lange sie möchten. Zu jeder Präsentation der ungeschnittenen Aufzeichnung erscheint ein aktualisiertes Ausstellungsplakat, auch für Weil am Rhein
The Bridge / Fotoinstallation / 2009 Eine dokumentarische Aufnahme aus dem Keller eines Wohnheims für obdachlose Frauen.
performen@kunstmuseen 1 (Triptychon mit Werbung) / Fotoinstallation / 2017 Die drei Fotografien zeigen Momente aus der ersten und bislang einzigen Aufführung von performen@kunstmuseen (KV Neuhausen, 2016), und die beigelegten Broschüren vermitteln das Vorgehen. Damit künftig möglichst viele das kostenfreie Franchise-Performance-Konzept performen@kunstmuseen nutzen, und bundesweit unzählige experimentelle Kooperationen von Asylbewerber*innen ohne Arbeitserlaubnis und Kunstinstitutionen entstehen.
geiger-gerlach.de
Dein Klub, Abstellkammer von Oberwelt e.V., seit 1995 ausgebaut zum wöchentlichen öffentlichen Treff.
Seit 2002 temporäres Film-Studio zum lippensynchronen Nachdrehen von monumentalen Hollywoodfilmen in ständig wechselnder Besetzung mit allen Menschen des Planeten auf engstem Raum.
Eine maßstabsgetreue Kopie der Kammer mit halbtransparenten Wänden geht seit 2003 international auf Tour, um die jeweilige Bevölkerung der gastgebenden Örtlichkeit spontan zu den Dreharbeiten an einzelnen Einstellungen einzuladen.
Die improvisierten Kopien von Werken der Filmindustrie mit minimalistischen Mitteln stellen eine partizipative Antwort auf zeitgenössische, unerreichbar scheinende Ikonen dar.
oberwelt.de/deinklub
D.N.K. FILOART
Das HUAI-Projekt untersucht, wie KI auf sprachliche Eingaben reagiert und Bilder generiert. Dabei erforscht es die Dynamik der Mensch-KI-Interaktion, um die Funktionsweise und Kommunikation von KI zu verstehen. Dieses Langzeitexperiment demonstriert das gestalterische Potenzial von KI, wirft philosophische und ethische Fragen zur Rolle von KI in Kunst und schöpferischem Ausdruck auf und bietet Einblicke in zukünftige Mensch-KI-Beziehungen.
Zu sehen werden die Serien der Werke von Projekten wie Ai D-generated Images, The Post Nature Museum, AI body und Dictatorship of NOW. Diese Arbeiten stellen eine Verschmelzung von Kunst und Technologie dar, die nicht nur die Grenzen menschlicher Kreativität hinterfragen, sondern auch die Zukunft der Kunst im Kontext einer zunehmend KI-gesteuerten Welt.
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Matthias Müller
Urban Flora Film 16mm digitalisiert. Laufzeit 4:50, projiziert auf Glasscheibe mit Transparentpapier.
Urban Flora zeigt das Überleben der Flora im von Menschen eroberten Stadtraum.
Katja Struif
Das Video „Ratten fangen“ ist eine Projekt-Dokumentation zum Thema Kinderschwund im
öffentlichen Raum. Das öffentliche Spiel wurde zum Weltkindertag 2018 mit ca. 50
TeilnehmerInnen in der Kölner Innenstadt realisiert. In dem Projekt haben Kinder von der
Kita Amares im Lauf von 4 Monaten in Theater- und Musik-Workshops die Geschichte des
Rattenfängers von Hameln interpretiert, sich angeeignet und gespielt. Die so entstandenen
Ideen wurden kombiniert mit Spielideen von erwachsenen TeilnehmerInnen, woraus dann in
Kooperation mit der französischen Straßenkunst-Gruppe Naüm Choreografien entwickelt
wurden. In dem Prozess und dem öffentlichen Spiel konnten die soziale Courage und die
kulturellen Fantasien der Kita einen neuen Ausdruck finden.
Zum Video „soft ice“:
Margaret Thatcher arbeitete in ihrer ersten Karriere als Lebensmittelchemikerin an der
Entwicklung von Softeis für die britische Lebensmittelkette Lyons & Co. Das Produkt
versprach durch die billigen Zutaten - hauptsächlich Luft und Zucker - neue Profitraten. Das
Animationsvideo thematisiert die sozialen und chemischen Atomisierungen der Iron Lady.
Softeiswaffeln demonstrieren Thatchers Dogma des Marktes. Für die Darstellung der
neoliberalen Akkumulation wurde ein Hochkant-Format verwendet.
Die Papiermontage „Pasquinaden-Projekt“ zeigt Teile des Projektes „scrivere grande“, das im
Goethe-Institut Rom vorgestellt wurde. Darin wurde das Phänomen der römischen
sprechenden Statuen mit der sogenannten „großen Schreibmaschine“ (la grande macchina da
scrivere), dem Nationalmonument Vittoriano verbunden, das von den Bewohnern der Stadt
Rom mit diesem Spottnamen belegt wird. Diese Gruppe von ziemlich ramponierten antiken
Skulptur-Resten erzeugte durch anonym an ihnen befestige obrigkeitskritische Texte
(Pasquinaden) eine neue Form von Öffentlichkeit, die in ihrer Phantasie, ihrem Ausmaß und
langen Existenz in der europäischen Geschichte der Meinungsfreiheit einzigartig ist. Anhand
von überlieferten Pasquinaden sollte mit dieser Schreibmaschine Stadtgeschichte aus der
Perspektive der sprechenden Statuen geschrieben werden.
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Thomas Ulm
„Rings um ruhet die Stadt“
Aus der alltäglichen Routine des Kaufens und Verkaufens wurde vom Künstler eine Aktion
entwickelt, in deren Mittelpunkt der tägliche und doch ganz unmerkliche Moment des
Bezahlens stand. In dieser Aktion wurde der Kassenvorgang zum bedeutungsvollen Ereignis.
„Rings um ruhet die Stadt“ wurde während zweier Wochen in der Stuttgarter Buchhandlung
Wittwer im laufenden Betrieb durchgeführt. Hier ließ Thomas Ulm die Kassen so einrichten,
dass sie für ein Teilsortiment, anstatt der sonst üblichen Angaben zu Autor und Titel, die erste
Strophe von Hölderlins Gedicht „Brot und Wein“ schreiben konnten.
In die Aktion waren 29 Bücher zur Gegenwartskunst aus dem Verlag Hatje Cantz
eingebunden und in Form einer Installation präsentiert. Auf Textfahnen wurden die Gäste
(Kunden, Betrachter, Rezipienten) dazu eingeladen, Teil eines künstlerischen Prozesses und
Initiatoren eines Kunstwerkes zu werden.
Der Kassenbon wurde seinem gewöhnlichen Gebrauch entzogen und als prinzipiell
beschreibbare Fläche gesetzt. Wer mit Büchern, die Teil dieser Aktion waren, zur Kasse ging,
erwarb - unversehens oder bewusst – ein dreiteiliges Kunstwerk. Es bestand jeweils aus einem
Hölderlin-Kassenbon (Unikat), einem von Ulm gestalteten signierten Kunstdruck, auf dem
alle Aktionstitel und die zugeordneten Hölderlin-Artikel dargestellt waren, sowie den
auslösenden und ausgelösten Büchern selbst. Der (Kunst-)Buchkauf wurde zum interaktiven
Moment der Aktion. „Rings um ruhet die Stadt“ sollte den Konsumbegriff um immaterielle
Kriterien der Auswahl und die Produktion erweitern. Da die Arbeiten (Werke) zum
gebundenen Verkaufspreis der ausgewählten Bücher erhältlich waren, verwiesen sie auf einen
künstlerischen Mehrwert, den Kunstinteressierte in diesem Fall sofort einstreichen konnten.
Hope the Best 1
Die Wandinstallation 'Hope the Best 1', deren Titel auf den Namen eines befreundeten (inzwischen verstorbenen) Pferdes zurückgeht, bedient sich gebrauchter über Jahre gesammelter Filter aus einem Inhalationsapparat für Pferde. Als künstlerische Reflexion einer eigenen Lungenerkrankung steht das Werk durchaus exemplarisch für die Arbeitsweise von Thomas Ulm.
Henrik Reimes
Werkserie „wanted“
In der Serie „wanted“ erforscht Reimes spielerisch unseren Zwang überall nach Wiedererkennbarem zu suchen - und folgt dabei malerisch, in den verschwommenen Grenzbereichen zwischen Abstraktion und Figuration, dem ambivalenten Leitmotiv der "Köpfe".
Dabei geht es für Reimes darum, beim Malen eine Balance zwischen Latenz und Manifestation jenes Leitmotivs zu halten; es also sowohl malerische Entscheidungen leiten zu lassen, als auch es erst im Prozess zu finden, und es nicht zuletzt, im Sinne einer gewollten Uneindeutigkeit, am überdeutlichen Auftauchen zu hindern.
Präsentiert wird die gesamte Serie als Installation, die alle "Köpfe" nahtlos, zu einem Block, aneinander setzt. So kommt zum einen die Zugehörigkeit aller Bilder zu einer Serie stärker zum Ausdruck, zum anderen fühlt man sich vielleicht an eine Wand voller Fahndungsfotos erinnert: diese Köpfe sind allerdings nicht "wanted" für ein Verbrechen, sondern wollen in der Imagination des Betrachters gesucht - und vielleicht gefunden – werden.
henrikreimes.com
Der alarmistische Umgang der Gastgebenden mit der KI-Arbeit von D.N.K. Filoart führte zu der Forderung einer Triggerwarnung und Verhüllung der Arbeit, was die Ausstellenden auch noch umsetzten, um die Ausstellung eröffnen zu dürfen.
Ohne Rücksprache sorgten die Gastgebenden aber dann noch für ein Jugendverbot und eine Warnung vom Kulturarmt.
Die Ausstellenden bedauern, dass die Gastgebenden nicht bereit waren, sich inhaltlich mit dem menschlich-empathischen
Hintergrund der KI-Arbeit von D.N.K. Filoart auseinanderzusetzen.